Täglich gehen bei Verlagen und Literaturagenturen zahllose Texte ein. Worauf achten diejenigen, die oftmals zuerst die Manuskripte in den Händen halten: Praktikanten, Volontäre & Co? Wie gehen sie auf ein unbekanntes Manuskript zu?
Teil III: Ich spreche mit Christiane, Lektoratsassistentin beim Oetinger Verlag
Christiane ist Lektoratsassistentin beim Verlag Friedrich Oetinger in Hamburg. Außerdem ist sie bei Oetinger34 für die Betreuung der IllustratorInnen zuständig.
Kanut: Gleich vorneweg: Wie liest du ein Manuskript am liebsten? Auf dem E-Reader oder Tablet, ausgedruckt oder auf dem PC-Bildschirm?
Christiane: Ich lese gerne auf dem Tablet, da es in der Darstellung besonders flexibel ist und ich es überall dabeihaben kann. Und am zweitliebsten lese ich ganz herkömmlich auf Papier.
K.: Laut einer aktuellen Studie nimmt die Bedeutung des Smartphones als E-Book-Gerät zu. Liest du digitale Manuskripte auch schon auf dem Handy?
C.: Ich habe zwar ein Smartphone aber das Display ist ziemlich klein. Darum ist es mir zu anstrengend, damit zu lesen.
K.: Was ist das Erste, worauf du bei einem Manuskript achtest?
C.: Zuerst lese ich immer das Exposé, wenn eines beigefügt ist. Dabei achte ich darauf, ob der Autor ein Gespür für das Wesentliche hat und seine Vision auf den Punkt bringen kann. Außerdem möchte ich erkennen können, dass dem Autor der Unterschied zwischen Plot und Story bewusst ist. Und wirklich ungewöhnliche Einfälle machen mich schließlich neugierig auf das Manuskript!
Beim Lesen des Manuskripts sind für mich die ersten Seiten ganz entscheidend. Ich muss mich auf den Schreibstil des Autors verlassen können, und ob das der Fall ist, merkt man meist schon nach wenigen Sätzen. Außerdem muss mich der Autor vom ersten Satz in seine erschaffene Welt hineinziehen. Es klingt ein bisschen so, als hoffe man als Lektorin auf einen magischen Moment – tatsächlich erwarte ich aber in erster Linie ganz basales Handwerkszeug und eine frische, ungewöhnliche Idee.
K.: Du hast beim Oetinger Verlag den tollen Debütroman von Anna Seidl „Es wird keine Helden geben“ lektoriert (den man übrigens noch bis zum 30.04. auf Lesedurst.de gewinnen kann). Wie war die Arbeit mit einer jungen Debütautorin und ihrem Manuskript?
C.: Es freut mich sehr, dass dir der Roman gefällt! Es war auch eine wirklich tolle Zusammenarbeit: Anna ist sehr flexibel und hat ein sehr entspanntes Verhältnis zu ihren Texten. Sie bringt viele Ideen mit ein, ist aber auch offen für Gegenvorschläge – das macht die Arbeit mit ihr sehr angenehm und inspirierend. Wir haben uns überwiegend per Mail ausgetauscht, da Anna ja tagsüber in der Schule war. Die wichtigsten Entscheidungen haben wir aber immer am Telefon getroffen. Es war toll mit Anna zusammenzuarbeiten, weil für sie ja alles ganz neu und darum auch besonders aufregend war. Ihre Begeisterung ist extrem ansteckend und ich freue mich schon sehr auf das nächste Lektorat. Lange muss ich nicht mehr warten, denn Anna schreibt schon an ihrem zweiten Buch.
K.: Was macht für dich – kurz auf den Punkt gebracht – ein gutes Jugendbuch aus?
C.: Ein gutes Jugendbuch zeichnet sich für mich dadurch aus, dass es von seiner Zielgruppe gemocht wird. Es muss allem voran gute Unterhaltung bieten und im besten Fall eine Botschaft transportieren, über die man auch noch eine Weile nachdenkt, wenn man das Buch zugeklappt hat.
K.: Und als Abschlussfrage: Welches Buch hat dich privat zuletzt begeistert?
C.: Mein letztes großes Leseerlebnis war Skippy stirbt von Paul Murray. Eine Freundin hat es mir zum Geburtstag geschenkt, und zuerst war ich nicht so extrem begeistert, weil das Buch mit fast 800 Seiten das Format eines Ziegelsteins hat und ich wirklich gar nicht gerne dicke Bücher lese. Aber da diese Freundin mir immer gute Bücher schenkt, habe ich Skippy stirbt doch eine Chance gegeben. Zum Glück! Die sehr skurrile Internatsgeschichte erzählt das kurze Leben des vierzehnjährigen Skippy, der bei einem Wettessen an einem Doughnut erstickt. Das Buch ist unglaublich witzig, zugleich aber auch sehr ernst und abgründig – und man liest und liest und liest, bis man plötzlich auf Seite 784 angelangt ist und am liebsten noch mal von vorne anfangen würde.
K.: Vielen Dank!
Sehr interessantes Interview – Danke für den Einblick!