Täglich gehen bei Verlagen und Literaturagenturen zahllose Texte ein. Worauf achten diejenigen, die oftmals zuerst die Manuskripte in den Händen halten: Praktikanten, Volontäre & Co? Wie gehen sie auf ein unbekanntes Manuskript zu?
Teil I: Ich spreche mit Monika, Lektoratsvolontärin.
Monika ist ein absolutes Sprachentalent, was ihr bei der Arbeit im Lektorat natürlich zugute kommt. So kann sie englische, französische und schwedische Manuskripte prüfen und beherrscht in mehreren anderen Sprachen zumindest die Grundlagen. Nach diversen Praktika im Verlagswesen, ist sie aktuell Volontärin im Lektorat eines Kölner Literaturverlags.
Umgang mit Manuskripten
Kanut: Gleich vorneweg: Wie liest du ein Manuskript am liebsten? Auf dem E-Reader oder Tablet, ausgedruckt oder auf dem PC-Bildschirm?
Monika: Es geht doch nichts über ein schön gebundenes Buch, das ist immer noch mein Favorit. Die meisten Prüftexte kommen aber natürlich in digitaler Form: In der Regel drucke ich sie mir dann aus, am Bildschirm verschaffe ich mir lediglich einen Überblick. Seit neuestem lese ich auch auf dem E-Reader, der unschätzbare Vorteile hat, wenn man viel unterwegs ist. Leider funktionieren Word- oder PDF-Dateien darauf nur bedingt, deshalb bin ich noch nicht restlos überzeugt.
K.: Laut einer aktuellen Studie nimmt die Bedeutung des Smartphones als E-Book-Gerät zu. Liest du digitale Manuskripte auch schon auf dem Handy?
M.: Nein. Ich habe es mal auf dem iPod ausprobiert, aber mit dem winzigen Bildschirm fand ich das ziemlich unpraktisch. Da plädiere ich dann doch eher für Geräte-Vielfalt, mein Handy muss nicht alles können.
K.: Was ist das Erste, worauf du bei einem Manuskript achtest?
M.: Wenn ich ein literarisches Manuskript prüfe, nehme ich die Lektoren-Brille erst mal ab und versuche, am Anfang möglichst unbefangen zu bleiben: Der Text soll für sich sprechen und ich gehe genauso dran wie jede x-beliebige Leserin. Was zuallererst zählt, ist also mein persönliches Leseerlebnis. Wenn mir der Text Lust macht, wenn er mich hineinzieht, dann erst kommen Kriterien wie Sprache, Erzähler etc. ins Spiel und ich versuche, den Text einzuordnen. Im Bereich Sachbuch ist es ein bisschen anders, da schaue ich üblicherweise zuerst auf die Aktualität oder Besonderheit des Themas und dann auf den Autor, seine Qualifikation und seinen Bekanntheitsgrad.
K.: Es gibt Menschen, die behaupten, der erste Satz müsse den Leser direkt richtig packen. Wie wichtig ist deines Erachtens der erste Satz? Was bringt dich also dazu, bereits auf der ersten Seite den Text zur Seite zu legen?
M.: Da 99% aller Leser und damit auch der Lektoren ein Buch vorne anfangen zu lesen, ist der erste Satz sicher nicht unwichtig – aber ich würde seine Bedeutung auch nicht überbewerten. Ich für meinen Teil lese niemals nur den ersten Satz, sondern mindestens mal die ersten zwei, drei Seiten. Wenn ich dann schon gelangweilt bin und nach grobem Querlesen absehen kann, dass sich das auch im restlichen Manuskript nicht ändern wird, lege ich es zur Seite. Oft hatte ich jedoch auch den umgekehrten Fall: Manchmal ist der Anfang vielversprechend und erzeugt Erwartungen, die dann durch einen schwachen Plot oder einen schlechten Schluss enttäuscht werden. Ich würde deshalb niemals ein Buch zur Veröffentlichung empfehlen, das ich nicht ganz gelesen habe, selbst wenn mich schon die ersten Seiten begeistern. Mein Fazit: Der Einstieg sollte gut sein, aber das reicht natürlich nicht – der Rest muss genauso stimmen!
K.: Wie viele Seiten eines Manuskripts siehst du dir schätzungsweise durchschnittlich an, bevor du eine erste Entscheidung triffst, ob es für den Verlag interessant sein könnte oder nicht?
M.: Das ist natürlich unterschiedlich, aber wenn mit „ansehen“ tatsächlich „lesen“ gemeint ist, tippe ich spontan auf ca. 50 Seiten.
K.: Welches Buch hat dich privat zuletzt begeistert?
M.: Mir ist neulich ein sehr schmales, unscheinbares Buch in die Hände gefallen, das ich bis dahin noch nicht kannte – dabei ist es eines der besten Bücher, die je über den Nationalsozialismus geschrieben wurden: „Adress unknown“ von Kathrine Kressmann Taylor. Aufs Wesentliche reduzierte Erzählkunst, die einen von der Intensität her einfach umhaut.
K.: Vielen Dank!